Der stille Anstieg: Angststörungen auf dem Vormarsch
Wie Angststörungen unsere Gesellschaft verändern
In den letzten Jahren hat sich unsere Gesellschaft in vielerlei Hinsicht gewandelt. Technologische Fortschritte, soziale Medien und der allgegenwärtige Druck, immer “online” und erreichbar zu sein, sowie der schnelle Wandel haben unser Leben verändert. Gleichzeitig werden wir täglich geflutet mit negativen, belastenden Nachrichten und Horrorszenarien der Zukunft. Doch mit diesen Einflüssen kommen auch neue Herausforderungen für unsere psychische Gesundheit. Eine davon ist der markante Anstieg von Angst- und Panikstörungen sowie sozialen Phobien, der uns alle betrifft.
Eine kürzlich durchgeführte Auswertung der Versichertendaten der IKK classic im Zeitraum von 2013 bis 2022 liefert aufschlussreiche Erkenntnisse. über einen besorgniserregenden Anstieg der Angststörungen in unserer Gesellschaft. So stieg der Anteil der von einer Angststörung betroffenen Versicherten innerhalb dieser 10 Jahre um über 37 Prozent. Während 2013 noch bei 4,8 Prozent der Versicherten eine Angststörung diagnostiziert wurde, waren es 2022 bereits 6,6 Prozent. Dieser Anstieg ist nicht nur statistisch signifikant, sondern auch ein deutliches Signal, dass wir als Gesellschaft diesem Thema mehr Aufmerksamkeit schenken müssen.
Soziale Phobien und Panikstörungen
Besonders alarmierend ist die Entwicklung bei spezifischen Formen von Angststörungen. So zeigen die Daten, dass soziale Phobien und Panikstörungen besonders stark zugenommen haben. Bei sozialen Phobien erhöhte sich der Anteil Betroffener um enorme 104,9 Prozent, bei Panikstörungen um 77 Prozent. Diese Zahlen sind ein klarer Hinweis darauf, dass die Art und Weise, wie wir leben und interagieren, tiefgreifende Auswirkungen auf unsere psychische Gesundheit hat.
Kinder, Jugendliche und Ältere am meisten betroffen
Interessanterweise betrifft die Zunahme sozialer Phobien vor allem Kinder und junge Menschen bis 29 Jahre. Im Jahr 2022 entfielen allein auf diese Altersgruppe 46,7 Prozent der Diagnosen. Panikstörungen hingegen treten eher bei älteren Menschen auf – 48,2 Prozent aller Fälle wurden 2022 bei Menschen über 50 diagnostiziert. Dies zeigt, dass Angststörungen keine Frage des Alters sind, sondern Menschen in allen Lebensphasen betreffen können.
Ein weiterer bemerkenswerter Aspekt ist das Geschlechterverhältnis. Insgesamt leiden mehr Frauen unter Angststörungen als Männer. Doch während sich der Anteil bei den betroffenen Frauen von 2013 bis 2022 um 30,9 Prozent erhöhte, stieg er bei den Männern deutlich stärker um 48,8 Prozent. Dies könnte darauf hinweisen, dass das Stigma rund um psychische Gesundheit bei Männern langsam abnimmt und mehr von ihnen Hilfe suchen.
Erhöhtes Risiko im Alter
Am stärksten betroffen sind jedoch ältere Menschen. Die IKK classic registrierte den höchsten Erkrankungsanstieg bei Älteren. Bei den Männern stieg der Anteil in den Altersgruppen zwischen 50 und über 70 Jahren zwischen 42,4 bis 49,6 Prozent. Bei den Frauen lag der Anstieg zwischen 26,5 bis 34,3 Prozent. Diese Zahlen verdeutlichen, dass die Herausforderungen der psychischen Gesundheit insbesondere im Alter zunehmen.
Was bedeuten diese Entwicklungen für uns als Gesellschaft? Sie zeigen uns, dass psychische Gesundheit ein Thema ist, das uns alle angeht – unabhängig von Alter oder Geschlecht. Die steigenden Zahlen sind ein Weckruf, mehr in Präventionsmaßnahmen zu investieren und das Bewusstsein für die Bedeutung psychischer Gesundheit zu schärfen.
Für Betroffene gibt es jedoch Hoffnung. Die systemische Therapie bietet einen Ansatz, der nicht nur auf die individuellen Symptome eingeht, sondern auch das soziale Umfeld der Betroffenen einbezieht. Durch das Verständnis von Beziehungsmustern und Kommunikationsstrukturen können systemische Therapeuten:innen helfen, die Ursachen von Angststörungen zu adressieren und in der Entwicklung effektiver Bewältigungsstrategien begleiten, die Betroffene dann im Alltag umsetzen können.
Angesichts des Anstiegs von Angst- und Panikstörungen sowie sozialen Phobien ist es wichtiger denn je, dass wir als Gesellschaft zusammenarbeiten, um das Stigma um psychische Erkrankungen zu beseitigen und den Zugang zu therapeutischer Unterstützung zu erleichtern. Denn nur gemeinsam können wir Wege durch die Angst finden und ein Umfeld schaffen, in dem jeder Einzelne die Unterstützung erhält, die er benötigt, um ein erfülltes und angstfreies Leben zu führen.