Stör mich nicht in meiner Krise!

Warum es sehr sinnvoll sein kann, Ihre Krise zu behalten und Sie sie gegenüber Lösungsangriffen von außen verteidigen sollten.

Wir leben in einer Gesell­schaft, in der mit Tipps nicht gespart wird, Opti­mie­rung geför­dert bis ver­herr­licht wird und an vie­len Ecken und Enden Anstren­gun­gen erfol­gen, das letz­te biss­chen Effek­ti­vi­täts­stei­ge­rung aus uns und allen Pro­zes­sen her­aus­zu­pres­sen. Puh, ganz schön anstren­gend, oder? 

Ich gehö­re auch zu die­ser Grup­pe der Gesell­schaft. Schließ­lich betrei­be ich unter ande­rem einen Blog mit Gesund­heits­tipps und ver­brei­te Metho­den und Stra­te­gien zur För­de­rung von kör­per­li­cher und men­ta­ler Gesund­heit. Im Grun­de sind das auch ehren­wer­te und hilf­rei­che Bemü­hun­gen, Anre­gun­gen und Ange­bo­te, gegen die nichts ein­zu­wen­den ist, denn letzt­end­lich wählt jeder ohne­hin für sich selbst, was und wie er oder sie das für sich umset­zen möch­te – oder auch nicht. 

Den­noch möch­te ich hier ein­fach mal zu beden­ken geben, dass es nicht immer sinn­voll ist, Tipps anzu­neh­men, Lösun­gen zu fin­den, sich zu opti­mie­ren oder zu ver­bes­sern oder das zu tun, was ande­re von uns erwar­ten. Häu­fig erwar­ten ande­re näm­lich, dass wir unse­re Kri­se oder unser Tief schnell über­win­den und hin­ter uns las­sen sollen.

Wenn es ide­al läuft, ste­hen wir hin­ter­her in strah­len­dem Super­he­ro Anzug auf­recht im Sturm, stre­cken der nächs­ten Her­aus­for­de­rung unse­ren Brust­pan­zer und unse­re Super­kräf­te ent­ge­gen und rufen jedem Mons­ter ent­ge­gen „Komm doch her, wenn du dich traust“. Rea­li­täts­fremd? Hol­ly­wood? Ver­mut­lich ein wenig von bei­dem. Doch die­se ver­ba­le Über­trei­bung macht klar, wie unrea­lis­tisch es ist, was häu­fig von uns erwar­tet wird:  Stän­dig rucki zucki aus jedem Tief wie­der auf die Bei­ne zu kom­men, unse­re nega­ti­ven Gefüh­le unmit­tel­bar zu über­win­den, uns nicht so anzu­stel­len und die A….backen zusam­men­zu­knei­fen. Und zwar schnell! 

Warum andere Sie in Ihrer Krise stören 

War­um haben ande­re sol­che Erwar­tun­gen? Weil:

Bild von alphaspi­rit auf Depositphotos
  • ande­re nicht durch unser Elend an ihre eige­nen, unbe­wuss­ten oder unter den Tep­pich gekehr­ten Kri­sen und Schwie­rig­kei­ten erin­nert wer­den wollen.
  • sie das­sel­be von sich selbst erwarten.
  • es schwer zu ertra­gen ist, mit kri­sen­haf­ten Gefüh­len ande­rer kon­fron­tiert zu sein.
  • wir in der Kri­se nicht top gelaunt sind und damit als Spaß­brem­se oder Spiel­ver­der­ber emp­fun­den wer­den können.
  • die ande­ren sich nicht mit unan­ge­neh­men, kri­sen­haf­ten Inhal­ten beschäf­ti­gen möchten.
  • sie selbst belas­tet sind und kei­ne Ener­gie übrig haben, sich mit unse­ren Belas­tun­gen abzugeben. 
  • sie kei­ne Zeit und Lust haben, stun­den­lang unse­rem Gejam­mer und unse­ren Trau­rig­kei­ten zuzuhören.
  • sie nicht wis­sen, wie sie mit unse­rer Trau­rig­keit, Trau­er, Ver­let­zung etc. umge­hen sollen.
  • sie dar­un­ter lei­den, uns lei­den zu sehen.

Das ist nur ein Aus­zug der vie­len Mög­lich­kei­ten und wie Sie sehen, gibt es vie­le Grün­de dafür, war­um ande­re von uns erwar­ten könn­ten, dass wir unse­re Kri­se schnell hin­ter uns las­sen sollen. 

Gute Gründe für eine Krise

Wir sind aber nicht auf Erden, um es ande­ren Men­schen recht zu machen, oder uns im ewi­gen Eier­tanz um jeden mög­li­chen Faux­pas oder Zehen­tre­ter her­um­zu­schlän­geln. Das ist schlicht­weg nicht mög­lich. Und wenn man das täte, wür­de man sich ver­mut­lich mit der Zeit gar nicht mehr bewe­gen aus lau­ter Angst vor einem Fehltritt.

Es geht also nicht um die ande­ren. Es geht um Sie. Und Ihre Kri­se. Und dar­um, was die­se Kri­se für Sie bedeu­tet, Ihnen sagen will, ins Ohr flüs­tert, Ihnen anbie­tet und was sie Sie durch­le­ben und erfah­ren las­sen will. 

Es gibt min­des­tens genau­so vie­le gute Grün­de für eine Kri­se, wie es Grün­de gibt, sie ver­mei­den zu wol­len. Hier eini­ge Ideen dazu. Eine Kri­se kann immer auch eine Chan­ce in sich ber­gen. Wozu? Zum Bei­spiel zu: 

  • Ver­än­de­rung oder Anpassung
  • Umden­ken und Perspektivenwechsel
  • Neu­be­ginn
  • Ein­satz oder Aus­bau Ihrer Fähigkeiten
  • Ler­nen, Wach­sen, Reifen
  • Aus­hal­ten oder Überwinden
  • Wider­stands­kraft üben und ausbauen
  • Ent­schei­dun­gen treffen
  • Ver­söh­nung (mit sich und anderen)
  • Im Tief das Hoch schät­zen zu lernen
  • Dank­bar­keit üben
  • Demut ler­nen
  • In der Rea­li­tät ankommen
  • Rück­be­sin­nung oder Umkehr
  • Los­las­sen
  • Inspi­ra­ti­on
  • Ruhe und Stille
  • Klar­heit bekommen
Bild von Kri­vos­heevv auf Depositphotos

Und, und, und. Die­se Lis­te ist bei wei­tem nicht voll­stän­dig. Und natür­lich defi­niert jeder den Sinn und Zweck einer Kri­se für sich selbst und jeder durch­lebt sie anders. Meis­tens durch­lebt man sogar eine aktu­el­le Kri­se anders als zuvor durch­leb­te Kri­sen. Ich möch­te also behaup­ten, dass Kri­sen auch unse­re Krea­ti­vi­tät för­dern kön­nen und uns dabei das ein oder ande­re Mal bereits eine Muse geküsst haben könnte. 

Das Gute am Schlechten

Wir den­ken meis­tens in Kate­go­rien von gut und schlecht und ande­ren Bewer­tun­gen des­sen, was uns begeg­net. Ich ver­ste­he nicht ganz wozu, denn die­se Bewer­tun­gen sind mei­ner Erfah­rung nach nur sel­ten hilf­reich. Mar­shall B. Rosen­berg (Begrün­der der Gewalt­frei­en Kom­mu­ni­ka­ti­on) geht sogar noch wei­ter und sagt, unse­re Urtei­le sind der Ursprung des Leids. 

Es wäre also über­haupt nicht ver­wun­der­lich, wenn Sie den­ken, Kri­sen sei­en schlecht. Und auch ver­ständ­lich, denn wir brin­gen Kri­sen mit „nega­ti­ven“ Gefüh­len in Ver­bin­dung wie Trau­rig­keit, Ent­täu­schung, Ver­zweif­lung, Hoff­nungs­lo­sig­keit, Ver­let­zung usw. Wenn Sie sich jedoch für einen Moment ein­mal dar­auf ein­las­sen, die­se Gefüh­le nicht zu wer­ten, könn­ten Sie sie ein­fach als Erfah­run­gen inner­halb des Spek­trums unse­res Mensch­seins betrach­ten. Ein Leben ohne die­se Gefüh­le gibt es nicht. Jeder hat sie von Zeit zu Zeit. Jeder wird ver­letzt, ent­täuscht, des­il­lu­sio­niert, lei­det und durch­lebt sol­che und ähn­li­che Gefüh­le. Das bedeu­tet also, dass es völ­lig nor­mal und üblich ist, die­se Gefüh­le zu durch­le­ben.

Wenn Sie sich noch einen Schritt mehr auf mein klei­nes Gedan­ken­ex­pe­ri­ment ein­las­sen kön­nen, könn­ten Sie dar­über nach­den­ken, ob es wirk­lich die­se Gefüh­le sind, die nega­tiv sind? Oder macht unser Urteil über die­se Gefüh­le sie erst nega­tiv? Ist die Ent­täu­schung und die Trau­rig­keit das Nega­ti­ve – oder unse­re Vor­stel­lung und unse­re Gedan­ken im Zusam­men­hang mit der Ent­täu­schung und der Trau­rig­keit? Oder sind vor allem unse­re gedank­li­chen Rück­schlüs­se über die­se Gefüh­le nega­tiv? Wie zum Bei­spiel der Gedan­ke „ich wur­de in der Lie­be ent­täuscht. Ich wer­de nie wie­der lie­ben kön­nen.” Oder „die­ser Mensch hat mich ent­täuscht. Ich wer­de ihm/ihr nie wie­der ver­trau­en kön­nen.” Es ist wahr, dass Sie ent­täuscht wur­den. Aber ob die Fol­ge, die Sie erwar­ten, wahr ist, wis­sen Sie nicht.

Es sind nicht die Din­ge selbst, die uns beun­ru­hi­gen. Es ist die Vor­stel­lung von den Dingen.

Epik­tet

Kri­sen sind ein völ­lig nor­ma­ler Bestand­teil jedes Lebens. Ich ken­ne nie­man­den, der noch nie eine erlebt hat. Wenn Sie jeman­den ken­nen, ist er ent­we­der noch zu jung, um bereits Kri­sen erlebt zu haben, oder Sie kön­nen ihm/ihr gra­tu­lie­ren, dass er sehr bald damit kon­fron­tiert wer­den wird. Kri­sen sind kein Pro­blem. Und des­halb brau­chen Kri­sen auch kei­ne Lösung. Kri­sen sind, was sie sind. Und sie sind, wozu Sie sie nut­zen oder was Sie durch sie erle­ben und erfah­ren. Und das kann für jeden etwas ande­res sein. Also wenn Sie die Kri­se schon unbe­dingt wer­ten müs­sen, dann fra­gen Sie sich ein­mal, was das Gute am „Schlech­ten“ sein könnte.

Jeder hat ein Recht auf seine Krise

Sie haben also ein Recht auf Ihre Kri­se und soll­ten sie sich von nie­man­dem schlecht­re­den oder weg­neh­men las­sen. Statt­des­sen könn­ten Sie neu­gie­rig sein, was sie in pet­to hat, sie ein­fach aus­le­ben, sich dar­in suh­len, sich ein kri­sen­haf­tes Bett berei­ten. Machen Sie es sich dar­in gemüt­lich, denn Sie kom­men sowie­so nicht dar­um her­um. Und die Kri­se geht sowie­so wie­der vor­bei. Wie Kri­sen das eben tun. Wie das alles ande­re auch tut. Auch das geht vor­über! Machen Sie das ruhig zu Ihrem Man­tra, denn es stimmt. 

Aushalten und durchleben statt wegmachen

Sie müs­sen also erst mal gar nichts tun. Sie wer­den die Kri­se aus­hal­ten, erfah­ren und durch­le­ben. Und das kön­nen Sie. Denn das haben Sie schon ein­mal getan, nicht wahr? Außer Sie gehö­ren zu den sehr weni­gen Men­schen, die sich auf ihre Kri­se noch freu­en dürfen.

Sie sind jetzt hier! Sie atmen, den­ken, leben. Das heißt, Sie sind ein Kri­sen­über­le­bens­künst­ler! Ein Meis­ter des Erfah­rens und Durch­le­bens. Ich gra­tu­lie­re! Und das mei­ne ich kein biss­chen iro­nisch. Denn um in die­sem Moment anzu­kom­men, haben Sie bereits unglaub­lich vie­les geleis­tet und bewältigt. 

Der vergessene Faktor Zeit 

Viel­leicht fra­gen Sie sich jetzt, wann die Kri­se vor­bei sein wird? Eine berech­tig­te Fra­ge. Aber lei­der eine Fra­ge ohne Ant­wort. Weiß ich nicht. Wis­sen Sie nicht. Nie­mand weiß es. Sie ist vor­bei, wenn sie vor­bei ist. Und wenn sie vor­bei ist, wer­den Sie es wissen. 

Und wie­so ist das wich­tig? Mal ehr­lich, was haben Sie Wich­ti­ge­res zu tun, als Ihr Leben zu füh­ren, zu dem Kri­sen eben dazu gehö­ren? Wir müs­sen es neh­men, wie es kommt. Ob es uns gefällt oder nicht. Nie­mand bestellt eine Kri­se wie den Piz­za-Express. Meis­tens wer­den wir von ihrer Ankunft über­rascht. Die Kri­se kommt uner­war­tet, unein­ge­la­den, uner­wünscht. Und dann ist sie da. Egal wie sehr Sie sich dage­gen weh­ren, so ist es. Also über­le­gen Sie ein­mal, ob all Ihr Wider­stand sinn­voll ist und etwas an Ihrer Kri­se ändert? Oder ob Sie damit viel­leicht auch nur unnö­tig Ener­gie verplempern? 

Bild von light­sour­ce auf Depositphotos

Ich mache die Erfah­rung in Coa­ching und The­ra­pie, dass der Fak­tor Zeit von vie­len Men­schen außer Acht gelas­sen wird. Wir wol­len alles und sofort. Wir wei­gern uns zu akzep­tie­ren, dass vie­le Din­ge ihre Zeit erfor­dern. Und dass man­che Din­ge nicht sofort gelöst oder ver­än­dert wer­den kön­nen. Dass manch­mal die Zeit noch nicht reif ist. Und dass Geduld eine Tugend ist, die man trai­nie­ren muss wie alles ande­re auch. 

Wir erwar­ten, dass Unan­ge­neh­mes mira­ku­lös ver­schwin­det ohne unser Zutun. Die gute Nach­richt ist, manch­mal ist das tat­säch­lich so. Aber in der Regel benö­ti­gen Sie dazu Zeit. Wie viel? Kei­ne Ahnung. So viel, wie nötig ist!

Alles hat seine Zeit 

Was sagen die gro­ßen Bücher der Weis­heit dazu? Die Bibel weiß „Alles hat sei­ne Zeit, und alles Vor­ha­ben unter dem Him­mel hat sei­ne Stun­de“ (Pre­di­ger 3,1). Und in die­sem Kapi­tel wer­den nicht nur ange­neh­me Din­ge genannt. Da ist von gebo­ren wer­den und ster­ben, töten und hei­len, wei­nen und lachen, lie­ben und has­sen, Streit und Frie­den, suchen und ver­lie­ren u. v. m. die Rede. 

Der Bud­dhis­mus sagt, dass alles Leben Lei­den ist. Zeit wird als eine Illu­si­on ange­se­hen, die uns dazu ver­lei­tet, an Vor­stel­lun­gen von Dau­er­haf­tig­keit und Kon­trol­le fest­zu­hal­ten. Und dass Ein­sicht in die wah­re Natur der Zeit zur Befrei­ung von Lei­den füh­ren kann.

Ein bekann­tes Zitat aus den Upa­nischa­den (Samm­lung phi­lo­so­phi­scher Schrif­ten des Hin­du­is­mus), das sich auf die Zeit bezieht, lau­tet: „Ver­gan­gen­heit ist Geschich­te, Zukunft ist ein Geheim­nis, aber jeder Augen­blick ist ein Geschenk.” Wohl­ge­merkt jeder Augen­blick, nicht nur kri­sen­freie Augenblicke ….

Im Koran wird das The­ma Zeit auf ver­schie­de­ne Wei­sen ange­spro­chen. Eine der bekann­tes­ten Stel­len ist die Sure 103. In die­sem Vers wird die Bedeu­tung der Zeit her­vor­ge­ho­ben. Es steht geschrie­ben, dass das mensch­li­che Leben ver­gäng­lich und von Ver­lust geprägt ist, es sei denn, es wird auf eine Wei­se gelebt, die durch Glau­ben, gute Taten und gegen­sei­ti­ge Unter­stüt­zung in Wahr­heit und Geduld gekenn­zeich­net ist [3]. Da haben wir sie wie­der, die Geduld. Gene­rell betont der Koran die Wich­tig­keit der Zeit und mahnt die Men­schen, ihre Lebens­zeit sinn­voll zu nutzen.

Das ein­zig Unver­än­der­li­che ist die Veränderung.

Hera­klit

Die grie­chi­schen Phi­lo­so­phen wuss­ten, dass die Ver­än­de­rung ein unum­stöß­li­cher Fakt des Lebens ist. Das bedeu­tet, alles ändert sich stän­dig, egal wie sehr wir an etwas fest­hal­ten wol­len. Schö­nes ver­geht, Momen­te kön­nen nicht anhal­ten, das Jetzt wird zur Ver­gan­gen­heit.  Und als logi­sche Kon­se­quenz auch Ihre Kri­se. In nicht zu fer­ner Zukunft wird sie Ver­gan­gen­heit sein. 

Der Maßstab der Zeit 

Auch der Maß­stab der Zeit wird häu­fig außer Acht gelas­sen. Was mei­ne ich damit? Abhän­gig vom Zeit­rah­men, in den Sie etwas stel­len, ver­än­dert es unter Umstän­den völ­lig sei­nen Charakter. 

Den­ken Sie ein­mal an eine ver­gan­ge­ne Kri­se. Betrach­ten Sie sie dann aus Ihrem jet­zi­gen Stand­punkt. Sieht sie jetzt immer noch genau­so aus wie damals, als Sie mit­ten­drin steck­ten? Hat sie immer noch die­sel­be Bedeu­tung für Sie? Oder ist es viel­leicht sogar so, dass die damals kata­stro­pha­le Kri­se im Rück­blick ein ech­ter Segen war?

Je nach­dem, in wel­chen Zeit­rah­men wir etwas stel­len, neh­men wir eine Sache unter Umstän­den ganz anders wahr. Viel­leicht ste­cken Sie jetzt gera­de in einer Kri­se? Dann über­le­gen Sie ein­mal, wel­che Bedeu­tung die­se noch haben wird, wenn Sie sieb­zig Jah­re alt sein wer­den und zurückblicken? 

Was jetzt also „schlecht” ist, kann in ein oder zwei Jah­ren „gut” sein. Abhän­gig vom Maß­stab der Zeit, den Sie anle­gen. Des­halb ist das Wer­ten einer Kri­se aus­schließ­lich aus Ihrem jet­zi­gen Blick­punkt her­aus ver­mut­lich nicht sinn­voll. Ein­fach mal abwar­ten und dann noch mal betrachten. 

Beden­ke: Nicht zu bekom­men, was man will, ist manch­mal ein gro­ßer Glücksfall. 

Dalai Lama

Szenen einer Krise 

Ich will das ein­mal an einem per­sön­li­chen Bei­spiel für Sie in den Kon­text stel­len. Vor ein paar Mona­ten hat­te ich eine Kri­se. Was der Aus­lö­ser war, weiß ich nicht. Viel­leicht war es eine Lebens­pha­sen­über­gangs­kri­se, bedingt durch die Meno­pau­se. Ein ande­rer Aspekt war viel­leicht eine mei­ne-Bezie­hung-ver­än­dert-sich-und-ich-weiß-noch-nicht-ob-mir-das-gefällt Kri­se. Oder viel­leicht ich-ver­än­de­re-mich-und-ich-weiß-noch-nicht-ob-mir-das-gefällt Ten­den­zen. Oder viel­leicht hat es auch eine Rol­le gespielt, dass mir klar wur­de, dass mei­ne Kind­heit teil­wei­se trau­ma­tisch war und ich das vor­her nicht so rich­tig rea­li­siert habe. 

Die Kri­se war schreck­lich, denn 

  • es sind vie­le Trä­nen geflossen
  • ich war häu­fig freud­los und schwermütig
  • ich hat­te mit abwer­ten­den, inne­ren Stim­men zu kämpfen
  • ich hat­te weni­ger Ener­gie als sonst
  • ich konn­te mich sel­ber manch­mal nur schwer ertragen
  • ich kann­te die wah­re Ursa­che mei­ner Kri­se nicht
  • ich war eine Spaß­brem­se und eine Partyvermeiderin
  • ich muss­te mir ein­ge­ste­hen, dass ich mich zwar emo­tio­nal sta­bi­li­sie­ren kann, wenn es nötig ist, ich die Kri­se aber nicht abkür­zen oder aus­las­sen kann
Bild von Brya­nA­Jack­son auf Depositphotos
Bild von Atlas­Stu­dio auf Depositphotos

Und die Kri­se war herr­lich, denn 

  • ich konn­te heu­len, was das Zeug hält
  • mein Mann war sehr ver­ständ­nis­voll und noch lie­be­vol­ler als sonst
  • ich konn­te jam­mern und wur­de getröstet
  • mei­ne Empa­thie für Klient:innen in Kri­sen nahm zu
  • ich habe mir mehr Zeit für mich selbst genommen
  • ich habe ent­schie­den, wie­der Sal­sa zu tan­zen, was mir viel Freu­de bringt
  • ich habe mich noch inten­si­ver mit dem The­ma Trau­ma beschäf­tigt und dazu gelernt
  • ich habe mich dar­an erin­nert, wie wun­der­bar mein Leben ist, wenn ich gera­de nicht in der Kri­se stecke
  • ich konn­te trotz Kri­se sehen, was alles gut ist, wie es ist

Und dann eines Tages bin ich auf­ge­wacht, habe mich leicht gefühlt, mei­ne Fröh­lich­keit kam zurück und ich war durch mit mei­ner Kri­se. Wodurch? Weiß ich nicht genau. Ist mir auch ziem­lich gleich­gül­tig, denn ich füh­le mich seit­her woh­ler, leich­ter, mehr im Flow, glück­li­cher und ener­ge­ti­scher als vor­her. Also war die Kri­se “schlecht” oder “gut”? Bei­des, oder abwech­selnd “gut” und “schlecht, oder auch keins von bei­dem. Sie war, was sie war. Und jetzt ist sie nicht mehr. Jetzt bin ich im Hoch. Und genie­ße das bewusst, so oft ich kann.

Ist Helfen zwecklos? 

Ich als sys­te­mi­sche The­ra­peu­tin, Trau­ma­the­ra­peu­tin und Coach pro­kla­mie­re hier also, dass die Kri­se vor­bei­geht. Ein­fach so. Heißt das jetzt, dass Hel­fen und sich hel­fen las­sen zweck­los ist? 

Die Ant­wort ist nicht ein­deu­tig. Sie müs­sen durch Ihre Kri­se durch – allei­ne – und das schaf­fen Sie auch, denn das haben Sie bis­her auch geschafft. Und es ist Ihre Ver­ant­wor­tung und nicht die eines Coachs oder The­ra­peu­ten, oder sonst irgendjemandem.

Das bedeu­tet aber nicht, dass Sie sich kei­ne Unter­stüt­zung holen kön­nen. Das tun wir sowie­so intui­tiv. Zum Bei­spiel durch Inne­hal­ten, Stil­le, Freun­de, Partner:innen, Abstand, die Natur, Bücher, Erfah­run­gen, Wis­sen etc. Oder eben über einen Coach oder Therapeuten:in.  

Der Vorteil eines systemischen Coachs oder Therapeuten:in ist, dass sie:

  • eine Lösung aus dir her­aus­bringt und nicht ihre über Sie stülpt.
  • Ihnen hel­fen kann, Klar­heit und Struk­tur zu schaf­fen – in Ihren Gedan­ken und Emotionen.
  • viel über Kri­sen weiß und Metho­den an der Hand hat, die sie Ihnen anbie­ten kann.
  • Ihnen einen wert­frei­en Raum bie­tet, in dem nicht geur­teilt wird.
  • Ihnen einen geschütz­ten Raum bie­tet, in dem sein darf, was ist.
  • Ihnen dedi­zier­te Zeit bie­tet, in der es nur um Sie geht.
  • Ihnen die Ver­ant­wor­tung nicht abnimmt (oder so tut als ob), son­dern sie bei Ihnen lässt.
  • neue Per­spek­ti­ven anbie­tet, die inspi­rie­ren kön­nen und Ihnen hel­fen, die Kri­se oder das Pro­blem von neu­en Sei­ten zu betrachten. 
  • spie­geln kann, was sie an Ihnen wahr­nimmt (und Sie selbst an sich nicht sehen können). 

Anmer­kung: Die­se Punk­te basie­ren auf der sys­te­mi­schen Grund­hal­tung und sind nicht auto­ma­tisch zutref­fend für ande­re psy­cho­the­ra­peu­ti­sche oder Coa­ching Verfahren.

Vie­le Men­schen fin­den die­se Punk­te hilf­reich und sie kön­nen sich dadurch Erleich­te­rung ver­schaf­fen, Erkennt­nis­se gewin­nen, ihre Sicht­wei­se ändern oder leich­ter zu ihren eige­nen Ent­schei­dun­gen kom­men etc. Das ent­schei­det jedoch jeder für sich und auch ohne pro­fes­sio­nel­le Hil­fe ist es mög­lich, Kri­sen zu über­win­den. Sonst wäre die Mensch­heit bereits ausgestorben. 

Veränderung passiert von ganz alleine

Ihre Kri­se wie alles ande­re in Ihrem Leben wird sich ver­än­dern. Sie ist nicht für immer hier. Sie sind nicht für immer hier. Nichts ist für immer hier. Und alles ist ver­än­der­lich – stän­dig. Und die­se Ver­än­de­rung pas­siert von ganz allei­ne. Ihre Kri­se wird sich ver­än­dern. Sie wer­den sich ver­än­dern. Und wenn Sie mutig sind, umar­men Sie Ihre Kri­se und las­sen sie Sie ver­än­dern. #weil­Sie­es­wertsind

Wenn Sie wei­te­re und aus­führ­li­che Arti­kel von mir lesen möch­ten, zögern Sie nicht den News­let­ter des Gesund­heits­blogs zu abonnieren.

Gesundheitsblog

Abon­nie­ren Sie den News­let­ter von Gesund­heit in Tübin­gen. Hier schrei­be ich regel­mä­ßig über men­ta­le Gesund­heit. Kos­ten­lo­ses The­ra­peu­ten­wis­sen für Sie!

Bit­te akti­vie­re Java­Script in dei­nem Brow­ser, um die­ses For­mu­lar fertigzustellen.
Categories: Artikel
X