G. N. A. D. E.
Was die Gnade mit inneren Stimmen, Eingebungen und dem Denken zu tun hat.
Und wie Sie lernen können, gnädig(er) mit sich zu sein.
Inneres Stimmengewirr
Der Klang unserer inneren Stimmen, die sich unterhalten, sich einen Schlagabtausch geben oder auch zicken und nerven kann man vielleicht mit einem dirigentenlosen Chor vergleichen, bei dem alle Mitglieder tun, was Ihnen gerade in den Sinn kommt. Dadurch kann ein Haufen Disharmonie und Chaos entstehen. Und das kann so richtig viel Stress machen – leider.
Dabei haben wir innerlich eher das Bedürfnis nach einem Gleichklang himmlischer Sphären, der uns beruhigend und harmonisierend begleitet und uns wie Gregorianische Gesänge in lauter Wohlwollen und Ausgeglichenheit schwelgen lässt.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber bei mir war die meiste Zeit meines Lebens eher der führerlose Chor am Gange. Und wenn ich mit vielen meiner Klienten spreche, nehme ich immer wieder wahr, dass viele davon unter ihren eigenen inneren Stimmen leiden, die unglaublich viel Stress oder Druck machen können.
Innere Stimmen
Was meine ich, wenn ich von inneren Stimmen spreche? In der Tat haben wir alle eine ganze Bandbreite von inneren Stimmen in uns. Wirklich.
Als ich noch jung war (ich bin immer noch jung im Herzen, aber äußerlich nicht mehr ganz so …) dachte ich, das ist ein Geheimnis und nur bei mir so, dass ich innere Stimmen in mir wahrnehme und sogar häufig Zwiegespräche mit mir selbst führe, oder auch imaginierte Unterhaltungen in meinem Kopf durchgehe.
Zwischenzeitlich weiß ich, dass das bei nahezu jedem so ist und dennoch fast alle glauben, es sei eine Art Geheimnis, das man verstecken müsste, und dass andere dieses Phänomen überhaupt nicht kennen. Weit gefehlt. Ich war so erleichtert, als ich im Rahmen meiner systemischen Ausbildung erfahren habe, dass das ganz normal ist.
Puh. Gott sei Dank, ich ein ganz normaler Mensch mit wirren Stimmen im Kopf. So wie Sie vielleicht auch.
Woher kommen die?
Eine erste logische Frage ist – woher kommen die, wer hat die in meinen Kopf gepflanzt?
Eindeutig zu beantworten ist die erste Frage nicht. Aber es gibt Hinweise. Die meisten davon finden Sie in Ihrer Herkunftsfamilie. Meine Mutter hat zum Beispiel regelmäßig zu mir gesagt „es könnte besser sein“. Das hat sie auch gesagt, als ich eine Eins als Note heim brachte. Ich kann mich genau an den Tag erinnern, als ich freudestrahlend nach Hause kam und die Eins meiner Mama verkündet habe, und das in einem Fach, in dem ich bisher noch keine erreicht hatte. Ihre Antwort „es könnte besser sein“, unter Kichern, ließ mich wütend zurück. Ich stürmte mit einem „Wie kann denn eine Eins noch besser sein?“ Aufschrei in mein Zimmer und habe von da an nie wieder von meinen Noten erzählt.
Zurück blieb – unterbewusst – eine ewig stressige Stimme mit einem Fass ohne Boden, das mir einflüsterte oder auch mal schrie „es könnte besser sein“, und mich Jahrzehnte meines Lebens damit zubringen ließ, mich abzuarbeiten, um immer noch besser zu werden, bei dem gleichzeitigen Gefühl, dass es doch nicht genug ist.
Ich erzähle das nicht, um meine Mutter zu exponieren. Sie hat es überhaupt nicht böse gemeint, für sie war es so etwas wie ein kleines Späßchen, um mich vielleicht zu motivieren oder dazu anzuregen, mein Bestes zu geben. Ich erzähle das auch nicht, um zu jammern. Zwischenzeitlich habe ich einen guten Umgang damit, kenne diese Stimme sehr gut und weiß auch, wie ich sie im Zaum halten kann.
Ich erzähle das als Anschauungsbeispiel, damit Sie sich vorstellen können, wie solche Stimmen im Kopf entstehen können. Es können Aussagen sein, die unsere Eltern, Geschwister, Großeltern usw. immer wieder gemacht haben, die sich unterbewusst in unseren Köpfen festsetzen und durch Wiederholungen einprägen.
Es könnte auch ein Familienmotto oder ein Glaubenssatz sein. Zum Beispiel: „Wir geben nie auf“ oder „wir halten immer zusammen“, oder „was man anfängt, bringt man auch zu Ende“, oder „was uns nicht umbringt, macht uns härter“, oder „du kannst alles erreichen, wenn du es nur wirklich willst“. Und und und … Der Fantasie und der Vielfalt und Ausprägungen dieser Glaubenssätze sind keine Grenzen gesetzt.
Weitere Einflüsse
Auch andere prägende Erfahrungen können sich als Aussage oder Stimme in unseren Köpfen festsetzen. So zum Beispiel Aussagen von Lehrern oder anderen Wissensvermittlern. Zum Beispiel: „Aus dir wird nichts“, „wer Erfolg haben möchte, muss sich anstrengen“, „Wissen ist Macht“ etc. Es sind aber nicht nur die verbalen Aussagen, die sich in uns festsetzen. In der Schule zum Beispiel wird auch vermittelt: „Wenn du dich so benimmst, wie das von dir erwartet wird, wirst du belohnt. Wenn nicht, bestraft.“ Also schlussfolgern Kinder, dass sie sich so zu verhalten haben, wie andere es von ihnen erwarten.
Medienbeeinflussung
Aussagen, Pressetexte, Wahlsprüche usw., die über die Medien verbreitet werden und häufig wiederholt werden, können sich ebenfalls in unseren Köpfen festsetzen, denn die Wiederholung ist ein mächtiges Instrument der Massenbeeinflussung. Hier werden über eine emotionale Ansprache und untermalende Bilder Bedürfnisse in uns getriggert, die das Produkt, der Politiker, Celebrity usw. dann zu erfüllen verspricht. Dabei schwingen häufig unterschwellige Suggestionen mit. Beispiele hierfür sind:
Positive Wirkungen
Ich habe jetzt eher Beispiele mit potenziell „negativen“ Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl bzw. auf das Entstehen stressiger Stimmen in Ihrem Innern gegeben. Natürlich gibt es auch positive Beispiele. So kann Sie ein Familienmitglied, Lehrer/-in, Mentor/-in u.a. auch positiv beeinflussen und zur Entstehung positiver Stimmen beitragen. So zum Beispiel „du bist gut so wie du bist“, „du musst nichts tun, du darfst einfach sein“, „du darfst gnädig mit dir sein.“, etc.
Welche Glaubenssätze, Leitsätze, Aussagen verbaler oder nonverbaler Art sich letztlich in Ihrem einzigartigen Kopf manifestieren, wissen nur Sie. Es hängt von vielen Faktoren ab, wie Ihrem Grundcharakter, Ihrer Art zu denken, Ihrer Resilienz (Widerstandskraft), dem Maß, zu dem Sie solchen Aussagen ausgesetzt sind, Ihrer Sensibilität und vielen mehr.
Es gibt also in vermutlich allen Menschen innere Stimmen, die tagtäglich ein Wörtchen mitreden, aber wie diese zusammengesetzt sind und wie sie miteinander agieren ist für jeden Menschen anders und einzigartig.
Was hat Gnade damit zu tun?
Das bringt uns zur Gnade. Denn was hat Gnade mit all dem zu tun? Ganz einfach, G. N. A. D. E. ist ein Merksatz, den Sie für sich sinnvoll nutzen können.
Glaube
Nicht
Allen
Deinen
Eingebungen
Gleichzeitig ist es eine Methode, um mit vielen der Eingebungen, Stimmen, Leitsätze, Lebensmottos usw. umzugehen, die uns nicht dienlich sind.
Am einfachsten kann man die Methode in vier Schritte einteilen. Zu Beginn steht zunächst ein Bewusst-Werden, Übung und dann eine Analyse und eine Entscheidung.
1. Bewusst-Werden
Was Ihnen nicht dienlich ist und negative Auswirkungen in Ihrem Leben hat, kann weg. Um jedoch festzustellen, was Ihnen dienlich ist und was nicht, sollten Sie sich zunächst bewusst werden, welche Eingebungen und Stimmen und Denkprozesse überhaupt innerlich stattfinden.
Der einfachste Weg, um das festzustellen, ist es, sich selbst zu beobachten. Und das können Sie, auch wenn Ihnen das aktuell noch nicht klar ist. Es ist eine besondere Gabe, die uns Menschen geschenkt ist und beinhaltet die Fähigkeit der Abstraktion.
So können Sie sich zum Beispiel geistig vorstellen, dass Sie sich selbst in Ihrem Denken und den inneren Prozessen von oben, wie von einer separaten Ebene oder Plattform beobachten. So als würden Sie z. B. auf einem Jägerstand sitzen, und sich selbst von oben zusehen. Die Distanz lässt sich auch variieren. Sie könnten auch die Ansicht aus einem Flieger wählen, oder vom Mond. Oder Sie wählen stattdessen das Bild, dass Sie in einem leeren Theater sitzen und sich selbst auf der Bühne denken sehen. Entscheidend ist, dass Sie sich aus einer Distanz beobachtest, von einem Ort aus, der außerhalb Ihrer Selbst liegt.
2. Übung
Das Einzige, was Sie benötigen, um diese Fähigkeit zu erlernen, ist Übung. Wie für jede andere Fähigkeit auch. Wenn Sie das immer wieder üben, fällt es Ihnen immer leichter, und dadurch können Sie immer mehr Ihrer Stimmen, Gedanken und Eingebungen hören und wahrnehmen.
3. Analysieren
Im dritten Schritt können Sie das, was Sie wahrnehmen, analysieren. Das heißt einteilen und kategorisieren. Zum Beispiel in die Kategorien nützlich und nicht nützlich, oder sinnvoll und weniger sinnvoll, dienlich und nicht dienlich. Sie betrachten also, was ein Gedanke oder eine Eingebung, ein Glaubenssatz oder eine innere Stimme mit Ihnen macht. Zum Beispiel: sie macht mir Stress, oder Druck, oder Angst, oder Unruhe etc. Oder sie beruhigt mich, lässt mich durchatmen, motiviert mich, begeistert mich etc.
4. Entscheiden
Im vierten Schritt können Sie dann entscheiden. Alles, was gut ist, Sie stärkt, unterstützt und weiterbringt, können Sie in Ihrem Leben behalten und fördern. Und nicht nur das, Sie könnten sogar entscheiden „das ist super, also mache ich ab sofort mehr davon als vorher“ (z. B. positive Gedanken öfter denken).
Alles, was Sie schwächt, niederdrückt, frustriert usw. können Sie auch kategorisieren. Jetzt kommt jedoch der Knackpunkt. Was Sie nicht können ist, solche Stimmen oder Gedanken einfach „wegmachen“, aus Ihrem Leben verbannen oder einfach fallen lassen. Innere Stimmen können sehr mächtig sein (je nachdem, wie lange sie schon aktiv sind) und arbeiten meistens übers Unterbewusste (das heißt so viel wie willkürlich oder automatisch). Aber Sie können einen neuen Umgang mit solchen negativen Einflüssen lernen. Wie das?
Hier ein paar Ideen:
G. N. A. D. E.
Damit komme ich zurück zur Gnade, denn die ist wichtig. Einerseits als Merksatz von oben.
Glaube
Nicht
Allen
Deinen
Eingebungen
Das bedeutet, manchmal ist eine gewisse Skepsis gegenüber den eigenen Gedanken und Eingebungen angebracht (wie auch gegenüber Äußerungen anderer, denn die können uns auch ganz schön beeinflussen. Aber darüber schreibe ich ein andermal…).
Sie müssen nicht alles glauben, was Sie denken. Vor allem nicht, abwertenden, negativen, niederdrückenden, sorgenvollen oder deprimierenden Gedanken. Helfen sie Ihnen? Nein. Motivieren sie Sie? Nein. Stärken sie Sie und bringen Sie vorwärts? Nein. Haben sie irgendeinen anderen positiven Effekt, der in Ihrem Leben nützlich ist? Nein. Schlussfolgerung: Sie müssen diese Gedanken und Eingebungen nicht einfach akzeptieren, sondern dürfen sie einfach verwerfen und mit positiven Gedanken ersetzen.
Ein Beispiel
Sie denken z. B. „Mann, ich habe wieder versagt. Immer das Gleiche.“
1. Sie beobachten, dass Sie das gedacht haben und es Sie frustriert (weil Sie das Beobachten (2.) geübt haben, können Sie das).
3. Sie analysieren, dass dieser Frust nicht dienlich ist, denn er wirkt sich negativ auf Ihr Bild von sich selbst und Ihren Fähigkeiten aus und verdirbt Ihrnen vielleicht den Rest des Tages.
4. Sie entscheiden, dass Sie den Gedanken deshalb so nicht stehen lassen möchten und korrigieren Ihr Denken. Zum Beispiel, indem Sie denken: „Das stimmt so nicht. Das hat zwar nicht geklappt, aber das macht nichts, denn ich habe dadurch etwas gelernt.“ Oder Sie denken: „Ich versage nicht – entweder ich gewinne oder ich lerne.“ Oder Sie könnten denken: „Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen, ich versuche es einfach gleich noch einmal.“ Oder Sie denken: „Jetzt weiß ich, wie es nicht geht, und finde eine neue Möglichkeit, mein Ziel zu erreichen.“ Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Hauptsache, der Gedanke ist hilfreich, anstatt Sie herunterzuziehen.
Gnade 2
Fragen Sie sich einmal, wie Sie mit einem Kind in dieser Situation umgehen würden. Stellen Sie sich vor, sie haben einen Sohn, der Fahrradfahren lernt und eben vom Rad gefallen ist. Was würden Sie zu ihm sagen? Ich bin mir sicher, Sie wären gnädig mit ihm, würden ihn umarmen, trösten und ermutigen, sich wieder aufs Rad zu setzen. Und ihm dann erklären, dass es einfach noch etwas dauert, bis er es lernt, er es aber sicher lernen wird und es schaffen kann. Das ist ein gnädiger Umgang.
Die Frage ist, wieso reden Sie mit sich selbst nicht auch so? Wir tragen die Gnade in uns. Und komischerweise sind wir in der Regel mit anderen gnädiger als mit uns selbst (nicht immer, aber meistens).
Meiner Erfahrung nach lernen es leider die meisten von uns nicht, aber wir dürfen und sollten mit uns selbst gnädig sein. Wir dürfen uns selbst trösten, und innerlich in den Arm nehmen, und uns gut zureden, und uns selbst auch etwas zutrauen. Denn natürlich haben auch Sie das Zeug in sich, neue Sachen zu lernen, Probleme zu lösen, Schwierigkeiten zu überwinden und zu wachsen und zu reifen. Schließlich habenSie das schon x‑mal gemacht. Und wenn Sie gerade eine Ruhepause brauchen, ist es auch ok, gar nichts zu tun, und einfach nur gut zu sich zu sein und wieder Kraft zu sammeln.
Wir sind Menschen, wir geben unser Bestes, aber wir sind nicht perfekt. Wir machen Fehler. Und das ist ok und gut so, denn ohne Fehler könnten wir überhaupt nichts lernen.
Sie sind ein human BEING und kein human DOING und einfach Sie selbst zu sein ist genug. Und dass das genug ist, und wir uns das zugestehen, ist Gnade.
Je gnädiger wir mit uns selbst sein können, desto gnädiger sind wir mit anderen. Und das tut denen gut. Denn die anderen sind auch Menschen, sie sind auch human BEINGS, und die machen auch Fehler und wünschen sich ebenso, dass das ok ist, anstatt dafür beurteilt, beschuldigt oder bewertet zu werden.
Je mehr Gnade wir walten lassen, desto weniger beurteilen wir andere in ihrem So-Sein. Wir lassen sie einfach so sein, wie sie sind, denn wie sie sind, ist ok. Dazu müssen wir auch nicht alles verstehen, was sie so denken, reden oder tun. Denn unser Maßstab ist nicht richtiger als der anderer. Nur anders.
Schlussendlich ist es auch so, dass je mehr Gnade wir mit uns selbst und anderen lernen können, desto friedlicher und angenehmer wird unsere Welt. Es gibt also wirklich viele gute Gründe, Gnade zu üben. Und ein erster Schritt ist es, G. N. A. D. E. zu üben – weil Sie es wert sind. Und die anderen auch.
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